Die Tragödie des KPD-Führers Ernst Thälmann (2024)

Alles wird gut. Jetzt, da Berlin und Moskau einen Pakt geschlossen haben. Der Mann, den seine Freunde Teddy nennen, ist „felsenfest überzeugt“, dass Stalin und Molotow – der sowjetische Außenminister – bei den Verhandlungen „die Frage der Freilassung der politischen Gefangenen einschließlich die von Thälmann irgendwo und irgendwie gestellt und aufgeworfen haben“, schreibt er. „Alles, aber auch alles, spricht für meine baldige Freilassung.“

Wir sind im August 1939. Seit etwas mehr als sechs Jahren ist Ernst „Teddy“ Thälmann – populär geworden als Führer der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) – Hitlers Gefangener. Ungebrochen scheint er, wie aus seinen Briefen zu lesen ist. Demgegenüber sind aber auch Zeilen überliefert, aus denen Enttäuschung und Wut sprechen. Und was ihn selbst angeht, hat er sich tragisch verkalkuliert mit seinen Hoffnungen auf Freilassung: Nichts wird gut, nachdem die Deutsche Reichsregierung und die Regierung der UdSSR am 23. August 1939 einen Nichtangriffsvertrag unterzeichnet haben. Thälmann wird fünf weitere Jahre Hitlers Gefangener bleiben; der Diktator Stalin hat ihn längst fallengelassen, seine Parteigenossen im Exil ebenso.

Thälmanns Gefangenschaft endet vermutlich kurz nach Mitternacht des 18. August 1944 – wohl durch drei Schüsse in den Rücken und einen Schuss ins Genick.

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Wer war Ernst Thälmann? Ein Kommunist und ein Antidemokrat, beides durch und durch. Ein Verehrer Stalins und Verächter der Sozialdemokraten. Ein Held und Märtyrer der Arbeiterklasse. Aber auch das: ein Wegbereiter Hitlers.

Das Leben, in das Ernst Thälmann am 16. April 1886 in Hamburg geboren wird, ist ein entbehrungsreiches. Mit seiner Schwester lebt er zunächst in einer Pflegefamilie. Er hilft später im Gemischtwarenladen der Eltern. Wegen anhaltender Streitereien mit seinem Vater entschließt er sich, sein Elternhaus zu verlassen. Er schlägt sich durch als Hafenarbeiter, Seemann und – in den USA – Landarbeiter, als Transportarbeiter und Kutscher.

Ernst Thälmann kennt nur Genossen oder Gegner

In die Politik zieht es ihn schon mit jungen Jahren. Er wird im Mai 1903 Mitglied der SPD. Im Ersten Weltkrieg kämpft er an der Westfront; im Herbst 1918 kehrt er von einem Fronturlaub nicht mehr zur Truppe zurück. Er erlebt die Revolution in Hamburg, wo er auf einer Abwrackwerft arbeitet. Und er schließt sich der USPD an, der aus dem linken Flügel der SPD hervorgegangenen Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschland. Doch auch die USPD führt interne Flügelkämpfe. Sie zerbricht beim Parteitag in Halle im Oktober 1920: Die Fraktion, die von der Revolution in Russland begeistert ist und der auch der Delegierte Ernst Thälmann angehört, setzt ihre Forderung durch, sich der Kommunistischen Internationale anzuschließen, dem Weltverband aller kommunistischen Parteien mit Sitz in Moskau. Wenige Wochen später gliedert sich die USPD-Linke in der KPD ein, die damit um 350.000 Mitglieder anwächst. Nun ist sie eine Massenpartei.

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Schnell macht sich Thälmann in der KPD einen Namen. Er erweist sich als ehrgeizig und machtbewusst – seine Denkweise kennt nur Genossen oder Gegner. Im Oktober 1923 will er den bewaffneten Aufstand ins Volk tragen, auf eigene Faust, gegen einen Beschluss der Partei. Der Hamburger Aufstand scheitert nach drei Tagen. Beim folgenden Parteitag macht Thälmann (der vermeintliche Held der Barrikaden verfolgte den Aufstand aus sicherer Entfernung) dafür die mangelhafte „Bolschewisierung“ der Partei verantwortlich.

In Stalins Umfeld gilt er als „Gold der Arbeiterklasse“

Moskau wird auf Ernst Thälmann aufmerksam. Grigori Sinowjew, enger Weggefährte Stalins und später Opfer der stalinistischen Säuberungen, hält ihn für „das Gold der Arbeiterklasse“. Im Frühjahr 1925 kandidiert Thälmann bei der Wahl des Reichspräsidenten. Obwohl er im ersten Wahlgang nur sieben Prozent der Stimmen bekommt, hält er seine Kandidatur aufrecht. Der zweite Wahlgang bringt ihm 6,4 Prozent. Damit verhindert er – wohl sehr bewusst – die Wahl des demokratischen Zentrumpolitikers Wilhelm Marx, Kandidat der bürgerlichen Parteien. Der unterliegt mit drei Prozent weniger Stimmen dem parteilosen Paul von Hindenburg, Kandidat der rechten Parteien.

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Stalins Einfluss macht Thälmann im selben Jahr zum Vorsitzenden der KPD. Da führt er bereits den Rotfrontkämpferbund (RFB), der schon bald Tausende in seinen Bann und gegen das Reichsbanner der SPD, den Stahlhelm und die SA zu Felde zieht. Mit erhobener Faust nimmt Thälmann die Paraden ab. Wie um Stalin wird auch um ihn ein Führerkult aufgebaut. Moskau will Thälmann zum leitenden Theoretiker des deutschen Kommunismus aufbauen. Dabei ist er mehr ein Mann der Tat denn des Wortes.

Die Tragödie des KPD-Führers Ernst Thälmann (4)

In der DDR wurde Ernst Thälmann als Held verehrt. Bei politischen Kundgebungen zeigte man sein Porträt, hier beim Pionierumzug zum XX. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik am 7. Oktober 1969.Werner Schulze/imago

Zeitgenossen stellen sich die Frage, ob Thälmann seiner ihm zugedachten Aufgabe gewachsen ist. Clara Zetkin, einflussreiches Mitglied der KPD, charakterisiert die Partei im September 1927 als „schwach und unfähig“, geprägt durch „Herausbildung kleiner Kliquen, persönliches Intrigieren, Gegeneinanderarbeiten“. Thälmann wirft sie vor, dass er „kenntnislos und theoretisch ungeschult ist, in kritiklose Selbsttäuschung und Selbstverblendung hineingesteigert wurde, die an Größenwahnsinn grenzt“.

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Für Stalin jedoch bleibt Thälmann erste Wahl. Das zeigt sich, als die Führungsspitze der KPD ihn im September 1928 von seinen Ämtern entbindet – er deckte einen Genossen, der Parteigelder unterschlagen hatte. Nach Druck aus Moskau ist er zehn Tage später wieder im Amt. Fortan verfolgt er noch ergebener die Moskauer Weisungen. Die orientieren sich an der „Sozialfaschismusthese“, von Grigori Sinowjew 1924 aufgestellt und von der Komintern bis 1935 vertreten. Sie besagt: Die Sozialdemokratie stellt den linken Flügel des Faschismus dar; sie bindet die Arbeiter an das bürgerliche System und hält sie vom Klassenkampf ab. Also ist sie vorrangig zu bekämpfen.

„Man kann den Kapitalismus nicht schlagen“, sagt Ernst Thälmann 1931, „ohne die Sozialdemokratie zu vernichten“. Wo immer sich Gelegenheit bietet, die (Sozial-)Demokratie zu bekämpfen – Thälmann nutzt sie. Dabei scheut er sich nicht, mit den erstarkenden Nationalsozialisten zusammenzuarbeiten. So versuchen KPD und NSDAP im August 1931 gemeinsam, die sozialdemokratische Landesregierung Preußens durch einen Volksentscheid zu stürzen.

Die Festnahme Thälmanns wirft Fragen auf

Die Zerschlagung des bürgerlichen Staates und die Errichtung einer Diktatur nach sowjetischem Vorbild – das war Thälmanns Ziel. Schon im März 1921 verkündete er sein antidemokratisches Credo: „Diesen Staat bekämpfen wir so lange, bis er nicht mehr als Staat existiert. Wir machen daraus absolut keinen Hehl. Wir haben keine Veranlassung, in dieser oder jener Beziehung gegen diese oder jene Person schonend vorzugehen.“ Es gehört zur Tragik Ernst Thälmanns, dass auf den Staat, den er so unerbittlich bekämpfte und der nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg am 30. Januar 1933 tatsächlich nicht mehr existierte, ein Staat folgte, der auch gegen ihn schonungslos vorging.

Den Reichstagsbrand in der Nacht zum 28. Februar, den Hitler den Kommunisten in die Schuhe schiebt, nutzen die neuen Machthaber, um Tausende politische Gegner – rechtswidrig – festzunehmen, allen voran kommunistische Reichstags- und Landtagsabgeordnete.

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Acht Polizeibeamte ergreifen Thälmann am Nachmittag des 3. März in der Wohnung der Eheleute Kluczynski in der Lützower Straße 9 (heute: Alt-Lietzow 11) in Charlottenburg. Mindestens fünf Personen haben ihr Wissen über die Verbindung Thälmann-Kluczynski an die Polizei weitergegeben. Die Umstände der Festnahme werden Gegenstand parteiinterner Untersuchungen: Warum hat der flüchtige Thälmann wochenlang ein- und dieselbe Wohnung genutzt, und warum haben Angehörige des Parteiselbstschutzes die Wohnung nicht gesichert? Es kommt in den folgenden Jahren wiederholt zu gegenseitigen Verdächtigungen mehr oder weniger beteiligter Personen, nicht zuletzt durch gezielte Desinformationsmaßnahmen und weitere Fahndungserfolge der Gestapo.

In der Gestapozentrale in der Niederkirchnerstraße wird Thälmann mehrfach einer „Sonderbehandlung“ unterzogen. Bei einem Verhör schlägt man ihm vier Zähne aus. Nachdem öffentlich geworden ist, dass der prominente Gefangene misshandelt wird, lässt Hitler die Folter abbrechen. Die Nationalsozialisten wollen Thälmann vor Gericht stellen, wegen Hochverrats: Der KPD-Vorsitzende habe einen Staatsstreich geplant. Das kommt ihm und auch seinen Genossen im Exil zupass. Nun kann er die Sache des Kommunismus vor der Weltöffentlichkeit verteidigen.

Von dem aktiven Eingreifen meiner russischen Freunde verspreche ich mir den einzig und allein ausschlaggebenden Erfolg zu meiner baldigen Freilassung.

Der Anklage aber fehlt es an Beweisen für Hochverrat. „Todesstrafe oder lebenslanges Zuchthaus“, seien „rechtlich nicht möglich“, stellt der Vertreter der Reichsanwaltschaft fest. Eine geringere Strafe aber wäre „ein Argument gegen die Größe der kommunistischen Gefahr“, befindet das Reichsinnenministerium.

Statt vor Gericht kommt Thälmann im Herbst 1935 in Dauer-„Schutzhaft“. Die KPD hat da bereits einen neuen Vorsitzenden, ein Parteitag nahe Moskau einen Monat zuvor hatte Wilhelm Pieck gewählt. Die „Schutzhaft“ erfolgt in Berlin, ab 1937 in Hannover und ab 1943 in Bautzen. Als „Komfort-Häftling“ darf Thälmann Besuch von seiner Frau empfangen, Zeitungen lesen und Briefe schreiben. Er verfasst 24 Briefe an Stalin persönlich, auf Deutsch (Ernst Thälmann: An Stalin. Briefe aus dem Zuchthaus 1939 bis 1941, hrsg. von Wolfram Adolphi und Jörn Schütrumpf, 1996). Seiner Frau gelingt es, jeden aus der Zelle zu schmuggeln, um ihn der Sowjetischen Botschaft in Berlin zu übergeben. Die nimmt erst den 14. Brief entgegen, mit der Begründung, die Handschrift müsse erst geprüft werden; es könne ja sein, dass der Verfasser nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Schließlich gelangen alle Briefe auf Stalins Schreibtisch.

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Als er im März 1940 immer noch keine Antwort erhalten hat, schreibt Thälmann, wie immer ergebenst, an Stalin: „Von dem aktiven Eingreifen meiner russischen Freunde verspreche ich mir den einzig und allein ausschlaggebenden Erfolg zu meiner baldigen Freilassung.“ Und: „Für mich ist heute schon klar, daß die Sowjet-Union diese meine neue Heimat sein wird (…) Also denkt an Euren tapferen Kämpfer und unbeugsamen Revolutionär, der ungebrochen und standhaft an der heiligen Idee des Kommunismus festhält und der seine revolutionäre Pflicht auch hier im Kerker erfüllt (…).“

Die Tragödie des KPD-Führers Ernst Thälmann (8)

Aufmarsch des Rotfrontkämpferbundes in Berlin, vermutlich 1927. Ernst Thälmann (vorne links) ist damals Vorsitzender des paramilitärischen Kampfverbandes der KPD.dpa picture-alliance/akg-images

Nicht ein Brief von Thälmann an Stalin wird beantwortet. Anfang der 1990er-Jahre werden Thälmanns Briefe in Stalins persönlichem Archiv gefunden. Einer davon trägt dessen handschriftliche Notiz: „Ablage!“ Für Stalin war jeder, der lebend in des Gegners Hände fiel, ein Feind. Das galt sogar für seinen Sohn Jakow, der im Juli 1941 in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet – und im April 1943 im KZ Sachsenhausen umkam. Abgesehen davon, dass Stalin leugnete, sein Sohn sei gefangen genommen worden, befand er grundsätzlich: Hitler habe keine russischen Gefangenen, er habe „nur russische Verräter, und die werden wir erledigen, wenn der Krieg vorbei ist“.

Auch Ernst Thälmann war in diesem Koordinatensystem der Gnadenlosigkeit ein – wenngleich deutscher – Verräter. Als unbeugsamer Kommunist zeigte sich Thälmann in seinen Briefen an Stalin auch deshalb, um seine eigene Hoffnung auf Befreiung mit dessen Hilfe am Leben zu erhalten, zumindest bis zum Überfall Hitlers auf die Sowjetunion im Juni 1941. Es gibt aber auch Überlieferungen, denen zufolge er sich verraten fühlte: Seine Genossen sähen ihn „lieber drinnen als draußen“, ärgert er sich 1937 in einem aus dem Gefängnis geschmuggelten Kassiber, es sei ja „sonst mit der Propaganda aus“. In der Durchhalteparole der Partei „Wir leben in einer Zeit, in der Deine Stimme aus der Haft gebraucht wird“ findet er wenig Tröstliches. Er flucht: „Warum seid ihr solche Scheißkerle und lasst mich hier sitzen?“ (Klaus Kinner: Ernst Thälmann. Mythos und Realität, in: Ernst Thälmann: Mensch und Mythos, hrsg. von Peter Monteath, 2000.)

Himmler notiert: „Thälmann. Ist zu exekutieren“

Ein Thälmann-Befreiungskomitee der Komintern nutzt seine Gefangenschaft, um die nationalsozialistische Unrechtsjustiz vor der Weltöffentlichkeit anzuprangern. Für seine Freilassung aber unternimmt es nichts, wie Walter Ulbricht, der die Exil-KPD de facto führt, zufrieden feststellt. Thälmanns Angehörige erfahren nach dem Krieg, dass Ulbricht alle ihre Bitten, sich für die Befreiung einzusetzen, ignoriert hatte. Lange bewahrt seine internationale Popularität Thälmann davor, hingerichtet zu werden. Aber, so schreibt er im Januar 1944: Im Falle einer Niederlage Nazideutschlands werde „das Hitlerregime (…) nicht davor zurückschrecken“, ihn „für immer zu erledigen“.

Die Niederlage Deutschlands zeichnet sich da längst ab. Dazu verüben deutsche Militärs am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Hitler, das fehlschlägt. Dreieinhalb Wochen später, am 14. August, tritt Heinrich Himmler, Reichsinnenminister, Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei, bei Hitler zum Rapport an. Der schreibt auf seinen Notizzettel unter Punkt 12: „Thälmann. Ist zu exekutieren.“

Zeitpunkt und Umstände der Ermordung Ernst Thälmanns sind nicht eindeutig geklärt. Es heißt, zwei Gestapo-Beamte hätten ihn am 17. August 1944 aus dem Zuchthaus Bautzen ins KZ Buchenwald gebracht; er sei dort in der Nacht zum 18., kurz nach Mitternacht, erschossen und seine Leiche sofort verbrannt worden. Eine andere Version besagt, er sei erst vier oder fünf Tage nach der Bombardierung des Lagers am 24. August zusammen mit neun anderen Kommunisten getötet worden. Eine dritte hält es für möglich, dass er schon in Bautzen umgebracht wurde.

Der „Völkische Beobachter“, die gedruckte Stimme der NSDAP, vermeldet am 16. September 1944 wahrheitswidrig, Ernst Thälmann sei bei einem alliierten Bombenangriff auf Buchenwald am 24. August ums Leben gekommen, zusammen mit dem ehemaligen Vorsitzenden der SPD-Reichstagsfraktion, Rudolf Breitscheid.

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An der Greifswalder Straße in Prenzlauer Berg steht seit 1986 ein Denkmal für Ernst Thälmann. Das 50 Tonnen schwere Werk des Bildhauers Lew Kerbel zeigt ihn mit geballter Faust vor einer Arbeiterfahne.Jörg Blobelt/CC BY-SA 4.0

Nach Kriegsende kehren Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht, Stalins neue Günstlinge, aus ihrem Exil zurück nach Deutschland. Als selbst ernannte Vollstrecker von Thälmanns Vermächtnis legitimieren sie ihren Führungsanspruch und den der KPD-Nachfolgepartei SED. Ihren ermordeten Parteigenossen Teddy, für dessen Befreiung sie keinen Finger gerührt hatten, erhebt das Thälmannlied zum „unsterblichen Sohn“, der „niemals gefallen“ sei, zur „Stimme und Faust der Nation“.

SS-Obersturmführer Erich Gust war 1966 Wirt in Niedersachsen

Die Tragödie des Ernst Thälmann hat noch eine bittere Nachgeschichte. Es ist die Geschichte der Suche nach seinen Mördern, eine Geschichte, die beide deutschen Staaten schreiben und die fast ein halbes Jahrhundert lang ist. Sie nimmt ihren Anfang in der Strafverfolgung von NS-Verbrechern, die unterschiedlich gehandhabt wurde: Die Bundesrepublik verschleppte Verfahren (oder nahm sie gar nicht erst auf), die DDR übte daran scharfe Kritik.

Einer der Hauptverdächtigen im Mordfall Thälmann war Erich Gust, SS-Obersturmführer und 1942 bis 1944 zweiter Schutzhaftlagerführer im KZ Buchenwald, ab 1944 Rapportführer. Die United Nations War Crimes Commission führte Gust ab 1946 auf der Liste gesuchter Kriegsverbrecher. Das Amtsgericht Weimar erließ 1948 Haftbefehl gegen ihn, die Bundesrepublik nahm ihn 1959 auf die Fahndungsliste. Als Franz Griese war Erich Gust untergetaucht. Mit seiner Ehefrau betrieb er ab 1966 das Lokal „Heimathof“ in Melle (Niedersachsen).

Die Staatssicherheit der DDR kam Gust spätestens 1968 auf die Spur – und behielt ihr Wissen für sich. Ost-Berlin warf Bonn stattdessen vor, im Fall Gust nicht energisch genug ermitteln zu lassen. Der Hintergrund: Die Stasi wollte Gust für „operative Zwecke“ nutzen. Bekannte Bonner Politiker und Mitarbeiter des Justizministeriums verkehrten in seinem Lokal. Dieser Skandal in Sachen Strafverfolgung von NS-Verbrechern sollte zu gegebener Zeit der Öffentlichkeit präsentiert werden – es ist dazu aus unbekannten Gründen nie gekommen. Erst im November 1992 wurde die Stasi-Aktion bekannt. Da war Gust bereits ein dreiviertel Jahr tot. Unbehelligt von der Justiz soll er eines friedlichen Todes gestorben sein.

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